Brienz (BE)
Am Montag, 12. August 2024, gegen 18.00 Uhr wurde Brienz (BE) von einem verheerenden Unwetter getroffen. Extremniederschlag verwandelte den Milibach innert Kürze in einen zerstörerischen Strom aus Wasser und Geröll. Zahlreiche Wohngebäude im Dorf Brienz erlitten schwere Schäden, und auch die historische Brienz Rothorn Bahn wurde massiv in Mitleidenschaft gezogen.
Eine Ereignisanalyse im Auftrag des Kantons Bern zeigt den Hergang der Katastrophe: Durch bis zu 100 Litern Regen pro Quadratmeter auf der Planalp, dem alpinen Einzugsgebiet des Milibachs, kommt es dort zu hohem Wasserabfluss und Rutschungen. Das Gemisch fällt über den Milibachfall und trifft mit hoher Energie auf, was zu einer massiven Tiefenerosion von bis zu 10 m im Bachbett führt. Dabei wurden schwere Felsblöcke mobilisiert. Bis zu 65’000 m3 Geschiebe trägt der Wildbach ins Siedlungsgebiet. Im bestehenden Geschiebesammler bleiben davon rund 18’000 m3 Material hängen, was der örtlichen Bevölkerung rund 15 zusätzliche Minuten zur Evakuierung verschaffte. Mit ein Grund, weshalb glücklicherweise keine Schwerverletzten oder Todesopfer zu beklagen sind.
Video: SRF Einstein
In diesem Artikel
– Notmassnahmen am Milibach
– Wiederaufbau der Brienz Rothorn Bahn
– Interview mit Pascal Siegrist vom RFO
Notmassnahmen am Milibach
Am darauffolgenden Dienstagmorgen um 9.30 Uhr wurden wir durch das regionale Führungsorgan (RFO) oberer Brienzersee aufgeboten, möglichst rasch mit zwei Grossbaggern bei den Interventionsarbeiten mitzuhelfen. Das Ziel für unsere beiden Maschinisten bestand darin, schnellstmöglich den ausgebrochenen Wasserlauf wieder in den Bachlauf einzuleiten. Einfacher gesagt als getan: Der Murgang hatte sich bis zu 8 m hoch im Siedlungsgebiet abgelagert und das Wasser floss quer durch den Ortsteil.
Bachverlauf sichern
Unsere Baggermaschinen fügten sich ein in ein überbetriebliches Team aus regionalen Baufirmen – so waren bis zu 14 Bagger gleichzeitig im Einsatz. Es wurde Hand in Hand gearbeitet und Erfahrungen untereinander ausgetauscht. Nach dem ersten Ausbaggern des Bachbetts lag der Fokus darauf, den geordneten Abfluss kommender Gewitter sicherzustellen. Mit Steinblöcken aus dem Murgangsmaterial wurde die defekte Bachsohle und Leitmauer wieder aufgemauert und gesichert. Knapp drei Monate lang beschäftigten uns die Arbeiten intensiv.
Geschiebesammler räumen
Auch der komplett gefüllte Geschiebesammler Milibach, unmittelbar oberhalb der Siedlung gelegen, musste schnell geräumt werden, damit er seine Funktion wieder erfüllen konnte. Vorderhand erfolgte dies ebenfalls mit unseren Grossbaggern – doch schnell stiessen wir auf viel zu grosse Gesteinsblöcke. Unsere Sprengtechniker zerlegten die bis zu 200 t schweren Felsmassen in präzisen Sprengungen, damit diese abgetragen werden konnten. Rechts des Milibachsammlers montierten wir einen Netzvorhang, um die Arbeitssicherheit unterhalb des Sammlers zu erhöhen. Dort wurde das instabil gewordene Bauwerk durch unsere Spezialtiefbau-Profis unterfangen und mit sechs vorinjizierten Stabankern in der Fundation verstärkt.
Wiederaufbau der Brienz Rothorn Bahn
Am Tag nach dem verheerenden Gewitter wurden wir von der Brienz Rothorn Bahn zu einer Krisensitzung eingeladen. Bei der Begehung der Bahnstrecke aufs Brienzer Rothorn zeigte sich das ganze Ausmass des Schadens. «Nach dem Unwetter konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir das wieder hinbekommen», sagt Peter Flück, Verwaltungsratspräsident der Brienz Rothorn Bahn, rückblickend.
«Nach dem Unwetter konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir das wieder hinbekommen»
PETER FLÜCK, Verwaltungsratspräsident der Brienz Rothorn Bahn
Sofortmassnahmen in Teamwork
In den darauffolgenden Tagen und Wochen plante und koordinierte die Bahn mit der C+S Ingenieure AG die umfangreichen Arbeiten für den Wiederaufbau der 130-jährigen Bahnstrecke. «Ihr ursprünglicher, historischer Charakter wurde dabei bewahrt», sagt Christoph Imfeld von der Brienz Rothorn Bahn. Ghelma Baubetriebe, C. Vanoli und wir wurden mit der Ausführung der Sofortmassnahmen beauftragt. Von unserer Seite beteiligt waren Teams der Abteilungen Felssicherung, Spezialtiefbau und Bauservice sowie das Gasser Engineering. Wir kümmerten uns dabei hauptsächlich um den Streckenabschnitt zwischen der Mittelstation Planalp und dem Brienzer Rothorn.
Trassee sichern und erneuern
In diesem Abschnitt galt es für uns, das Bahntrassee wiederherzustellen. Der Unterbau musste teilweise ersetzt werden, wir reparierten oder erstellten die Schotterhalterungen neu und bauten frischen Schotter ein. Weiter lag das Augenmerk auf Schadstellen neben dem Trassee. Unser Engineering-Team trug laufend Fachplanungen zu den dort anstehenden Arbeiten bei: die Sicherung eines durch Kolk beschädigten Bachdurchlasses, die Rückverankerung einer einsturzgefährdeten Stützmauer sowie weitere Massnahmen im Bereich Geotechnik. Dank ausgezeichneter Ortskenntnis aus früheren Aufträgen und viel Flexibilität der involvierten Mitarbeitenden schafften wir es als Projektteam, die Bahn vor Wintereinbruch wieder herzurichten. «Was wir gemeinsam geleistet haben, ist unglaublich», bilanziert C+S-Projektleiter Roger Flückiger. Damit steht der Wiedereröffnung der Brienz Rothorn Bahn im Mai 2025 nichts im Weg.
Video: SRF Schweiz aktuell
24h-Pikett für Sofortmassnahmen:
+41 79 268 77 77
Wenn die Uhr tickt, sind entschlossenes Anpacken, unbürokratische Zusammenarbeit und kurze Kommunikationswege entscheidende Vorteile. In unserer Unternehmung vereinen wir alle Kompetenzen, die für die Bewältigung der häufigsten Naturereignisse in der Schweiz vonnöten sind. Wir verfügen über erfahrene Spezialisten, welche die Situation richtig einschätzen und geeignete Sofortmassnahmen treffen können – dank Pikettdienst rund um die Uhr.
Interview mit Pascal Siegrist
Pascal Siegrist war intensiv mit der Bewältigung der Unwetterkatastrophe in Brienz gefordert – nicht nur als unser Abteilungsleiter Bauservice, sondern vielmehr noch mit dem Regionalen Führungsorgan (RFO) oberer Brienzersee.
Pascal Limacher: Was macht das Regionale Führungsorgan (RFO) und was ist deine Funktion dort?
Pascal Siegrist: Das RFO oberer Brienzersee kommt bei Notlagen und Katastrophen zum Einsatz, welche die Kapazitäten der Gemeinden überschreiten. Angeschlossen sind die Gemeinden Brienz, Brienzwiler, Hofstetten, Oberried und Schwanden. Ich bin seit 2016 Mitglied des RFO und leite dort den Fachbereich technische Infrastruktur. Darunter fallen die baulichen Interventionsmassnahmen sowie Schutzbauten.
«In der ersten Zeit ist man als Region oder Gemeinde auf sich selbst gestellt, man muss die Krise selbst bewältigen können.»
PASCAL SIEGRIST, RFO oberer Brienzersee
Wie sahen deine ersten Stunden nach dem Unwetter aus?
Das RFO wurde vom Gemeinderat Brienz umgehend aufgeboten, eine halbe Stunde nach dem Ereignis trafen wir uns im Feuerwehrlokal zur Lagebeurteilung. Die Feuerwehr war da bereits ausgerückt. Zusammen mit RFO-Naturgefahrenberater Daniel Grossmann ging ich dann rauf zum Sammler. Wir stellten fest, dass dieser bis oben mit Geschiebe gefüllt war. Es war da bereits am Eindämmern. Was von oben noch kommt, war unklar. Wir mussten schnell entscheiden, das Katastrophengebiet zu sperren. Auch die Feuerwehr, die am Evakuieren war, mussten wir zurückziehen. Vier Rettungshelikopter evakuierten dann aus der Luft. Ein nächtlicher Rekoflug brachte uns wenig Erkenntnisse, erst am nächsten Morgen konnten wir das riesige Schadenausmass aus der Luft überblicken. Die Nacht dazwischen hatten wir aber genutzt, um Massnahmenszenarien auszuarbeiten.
Wie hast du danach die baulichen Sofortmassnahmen koordiniert?
Die Sperrzone konnten wir am Morgen für die Bauarbeiten freigeben. Im Fokus stand, den Wasserlauf wieder kontrolliert in den See zu leiten. Es zeigte sich schnell, dass das Bachbett komplett zerstört war – es benötigte also Dämme, Ausbaggern allein half nicht. Wir haben alle regional verfügbaren Bauunternehmen mit dem passenden Inventar angefragt und ihre Maschinisten vor Ort eingewiesen. Ghelma Baubetriebe, Eggenberg Tiefbau, Flück und Blatter, Eggler Bauunternehmung, Peter Michel, Kohler Bau sowie Gasser Felstechnik standen im Einsatz. Stündliche Veränderungen waren normal, es gab wenig Schlaf. Bis Sonntagabend waren die dringenden Interventionsmassnahmen erfolgreich umgesetzt, das Wasser floss über ein Provisorium in den See.
Was bleibt dir von dieser Katastrophe am meisten in Erinnerung?
Wie wir im RFO an einem Strick gezogen und uns vertraut haben. In der ersten Zeit ist man als Region oder Gemeinde auf sich selbst gestellt, man muss die Krise selbst bewältigen können. Ich würde jeder Region empfehlen, sich mit ihrer Krisenorganisation zu befassen. Aber auch darauf, dass relativ bald das Geld in den Vordergrund rückt: Was darf das kosten? Innert Stunden bis Tagen müssen hohe Summen gesprochen werden. Wir vom RFO sind dafür verantwortlich, die Ressourcen richtig einzusetzen. Darauf muss man vorbereitet sein. Irgendwann ist die Katastrophe vorbei und dann kommt der Tag X, an dem man sich vor Bevölkerung und Behörden verantworten muss.
Pascal Siegrist / Roman Cavegn / Pascal Limacher