«Es wird behauptet, ich kenne eine halbe Million Menschen. Ich bezweifle das aber», meint Noldi Abplanalp schmunzelnd. Nach 30 Jahren als Pächter auf dem Gotthard wäre es zu glauben. Ab 2013 beherbergte Noldi unsere Mineure im Hotel Bären in Guttannen. Nun tritt er mit 70 Jahren etwas kürzer und öffnet für den Felssplitter seinen reichen Erfahrungsschatz.
Titelbild: Alexander Hoernigk (via Wikimedia Commons)
Als 2013 die Untertagbaustelle zur Aufwertung des Kraftwerks Handeck 2 begonnen wurde, schaute man sich bei der Gasser Felstechnik AG nach einer Wochenunterkunft für die im Ausland wohnhaften Mineure um. Dazu passte, dass die damaligen Besitzer des traditionsreichen Gasthofs Bären in Guttannen eine Nachfolge suchten. Nicht nur an der Grimsel, auch auf dem Gotthardpass beschäftigte man sich mit der Nachfolgeplanung. Mit damals 65 Jahren wollte Noldi Abplanalp die Führung aller Gastro- und Hotelleriebetriebe auf dem San Gottardo an etwas jüngere Schultern übertragen. An Energie schien es Noldi nie zu fehlen, an Weitsicht aber auch nicht. So kam ein Anruf wahrlich wie gerufen.
Zwischen Traditionshaus und Bauunterkunft
Mit der Gasser Felstechnik AG als frischgebackene Inhaberin des «Bären» hatte VR-Präsident Thomas Gasser per Telefon Noldi Abplanalp zu einer Besichtigung eingeladen. Der kleine Gasthof an der Grimsel hatte es Noldi schnell angetan. «Es ist ein Daheim, eine Stube für die Bauarbeiter », erinnert er sich an seine Eindrücke. Das fällt augenblicklich auf, wenn man mit Noldi spricht. Für ihn stehen die Menschen im Mittelpunkt. «Entscheidend sind die kleinen Sachen», sagt Noldi, wenn er sich an das erste Jahr als neuer Gastgeber zurückerinnert. Dem im Untertagebau üblichen Schichtbetrieb der Vortriebsequipen hatte sich auch das Bären-Team angepasst. Pro Tag gab es sieben Essenszeiten. «Butter oder Becel? Mit oder ohne Essiggürkli? Wir haben alle Lunch-Wünsche erfüllt, denn das ist wichtig!» Noldi strahlt, wenn er das mit Überzeugung sagt. Die Zufriedenheit und Freude der Gäste ist, was ihn schon fast vier Jahrzehnte als Wirt antreibt.
Aus der Baubranche
Beruflich angefangen hat Noldi nämlich ganz anders. Bei Geometer Lips in Thun lernte er Vermessungszeichner. Ab 1976 ging es für ihn in die Alpen, genauer auf die Realp-Seite des entstehenden Furka-Basistunnels. Beim Ingenieurbüro Bysäth aus Brunnen half er mit, die örtliche Bauleitung des Tunnels für die Furka-Oberalp-Bahn wahrzunehmen. In dieser Zeit lernte Noldi in Andermatt über dessen Vater Hanspeter Bonetti kennen. Eine Bekanntschaft, die ihn auf allen seinen künftigen beruflichen Stationen begleiten sollte. Bis 1983 blieb Noldi dem Büro Bysäth treu, als ihm mit 35 Jahren «der Bürodeckel auf den Kopf gefallen» sei, wie er seine berufliche Sinnkrise formuliert. Es ergab sich ein Zufall.
Die neue Heimat auf dem Gotthard
Im Herbst 1983 hatte er sich eine Ausgabe der «Hotel Revue» gekauft und ein Inserat entdeckt. Man suchte nach einem Wirt für das Gotthard Hospiz. In Kürze hatte man sich geeinigt und Noldi war auf einen Schlag Wirt eines der symbolträchtigsten Gasthäuser der Schweiz. Die Materie Bau hatte ihn schnell wieder eingeholt, denn zwei intensive Baujahre prägten seine beruflichen Anfänge als Gastgeber. Aber er spürte, hier bei seiner Bestimmung angekommen zu sein. Ein Gefühl, das er seinen Gästen wie kein anderer vermitteln konnte. «Du darfst erst anfangen zu wirten, wenn du zuhören kannst. Zuhören ist das Wichtigste», öffnet Noldi seine Erfahrungstruhe im Gespräch. «Zum Znacht erzählt der Gast, am nächsten Tag beim Zmorge musst du als Wirt erzählen. Deshalb mache ich so gerne das Frühstücksbuffet.» Er lacht. Es ist seine Mischung aus sprühender Energie und Schalk auf der einen und einer gewissen Gemütlichkeit auf der anderen Seite, welche Noldis Gesprächspartner fesselt – und als Gäste lange Stunden bei einem guten Tropfen am Tisch verbringen lässt.
Einen Laptop am Nagel
Anekdoten gibt es fast so viele, wie Menschen am Hospiz an- und auf der Passstrasse wieder weitergekommen sind. Kurz nach dem Swissair- Grounding traf sich so eine Gruppe frühpensionierter ehemaliger Pilotenkollegen, um bei einer PowerPoint-Präsentation einen gemütlichen Abend zu verbringen. Der Laptop versagte den Dienst; gemütlich wurde der Abend. Gegen zwei Uhr am Morgen brachte Noldi dem verärgerten Computer-Besitzer einen grossen Nagel und Hammer. Und so hängt heute noch ein Notebook über dem Stammtisch des San Gottardo. Es sind Geschichten wie diese, welche die Leute immer wieder ins Hospiz zurückkehren liessen und Verbindungen herstellten, die über das Zubereiten von Speisen und das Ausschenken von Getränken hinausgingen. «Geschichten sind aber keine Doktrin, man kann davon nehmen, was man will», sagt Noldi. Der Gotthardpass war ein Tapetenwechsel für die Leute, für welche sich Noldi sehr gerne Zeit nahm: «Ich schaue zuerst, dass es anderen gut geht. So schauen sie dann auch nach mir.» Ein Credo, das ihm viele Freundschaften und Bekanntschaften mit den unterschiedlichsten Menschen eingebracht hat.
Grosse Namen im Ordner
Ein Zeugnis der unzähligen Kontakte, die Noldi über die Jahre geknüpft hat, sind zu Hause bei ihm die Ordner voll mit eingeordneten Visitenkarten. Darin sind so einige Kärtchen zu finden, die man als «Normalsterblicher» sonst nie zu Gesicht bekommt. Doch genau hier liegt Noldis Geheimnis versteckt. Er hat die VIPs auf dem Gotthard nie als solche behandelt, sondern in seiner bodenständigen Art einfach als Gäste persönlich und mit Freude bewirtet und ihnen zugehört. Romano Prodi, ehemaliger EU-Kommissionspräsident und Ministerpräsident Italiens, rief Noldi für den gelegentlichen Espresso auf der Durchreise genauso an wie Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss für ihre Ferien auf der Passhöhe. Zwischenzeitlich war der Gotthard-Gastgeber mit fünf von sieben Bundesräten per Du. Nicht nur die Gespräche, auch die Ruhe wurde von den illustren Gästen geschätzt. Wenn sich die Nacht über den San Gottardo legte, wurden die Sitzungszimmer rege genutzt, um in Ruhe die Gedanken zu ordnen. Laut wurde es hingegen, wenn die Schweizer Rockband Gotthard auf «ihrem» Pass gespielt hat. Damals noch mit Steve Lee († 2010), hat die Band insgesamt drei Konzerte bei Noldis Gaststätte veranstaltet. «Die Aufgabe war extrem facettenreich, das kann man sonst nirgends finden», resümiert Noldi.
«Mitarbeiter sind das Wichtigste»
Auf dem Gotthard begegnete ihm auch wieder Hanspeter Bonetti, welcher im Verwaltungsrat der Gotthard Touristik AG Einsitz nahm. Auch viele von Noldis Mitarbeitenden begleiten ihn schon lange. Ein Mitarbeiter hat 27 Jahre in den verschiedenen Gastrobetrieben mit ihm zusammengearbeitet. «Die Mitarbeiter sind das Wichtigste, ob im kleinen Hotel Bären oder in einem grossen Betrieb», sagt Noldi. «Es ist nicht immer der Fünfliber mehr Lohn, auch kleine Verantwortungsübertragungen sind ein Motivationsschub. » Eine hohe Motivation war auch wichtig, wie das Beispiel 1993 zeigt. «Auf 165 Betriebstage kamen gerade mal 27 Schönwettertage, ansonsten herrschte immer stockdicker Nebel. Dann spinnt man irgendwann!» Doch im Umgang mit den Menschen liegen die grossen Stärken von Noldi, so hatte er seine ganz eigene Lösung parat. «Ich zog die Vorhänge am Hospiz zu, sodass wir den Nebel nicht mehr sehen mussten, und holte für das Team eine Flasche Champagner aus dem Keller», lacht Noldi. «Ganz normal darf man in diesem Job nicht sein!»
Auf den Bären gekommen
Nach genau 30 Jahren wechselte er 2013 dann also ins beschaulichere Oberhasli. Die 266 Einwohner zählende Gemeinde Guttannen nahm Noldi wohlwollend als Bären-Wirt auf. Und die einfach-herzliche Atmosphäre des geschichtsträchtigen Holzbaus hatte es nicht nur ihm angetan. «Da kommen wohlhabende Leute aus noblen Häusern in den einfachen Bären, um Zeit in einer heimatlichen, entschleunigenden Umgebung zu verbringen», spricht er von den Qualitäten des Grimselgasthofs. In den Schwestern Veronika Thaler und Marianne Nägeli hat er die idealen Nachfolgerinnen als Wirtinnen des Bären gefunden. Beide arbeiten schon lange mit Noldi zusammen und profitieren als neue Pächterinnen auch in Zukunft noch von seiner Beratung. «Mein Benzin sind die Menschen, ohne Menschen kann ich nicht», sagt er. Benzin scheint er noch reichlich im Tank zu haben. Mit 70 Jahren will Noldi aber trotzdem einen Gang zurückschalten, auch seiner Gesundheit zuliebe. Er schmunzelt: «Im richtigen Leben bin ich kein Vorbild, da kannst du dir sicher sein!»
Pascal Limacher